club transmediale und Meike Jansen
Vorwort
In den fünf Jahren, in denen der club transmediale eine Kommunikationsplattform für das facettenreiche Feld der aktuellen elektronischen Musik stellt, wurden die Organisatoren des Festivals regelmäßig mit zwei Feststellungen konfrontiert: Erstens sei die große Mehrzahl der Auftretenden männlich, zweitens herrsche eine bestimmte Präsentationsform vor, nämlich die Laptop-Performance. Bei letzterer scheint die körperliche Präsenz auf das unabdingbare Minimum zurückgedrängt, auf am Trackpad spielende Finger und im Monitor versenkte Augen. Man sieht stillgelegte Körper, deren Köpfe – vom Bildschirmlicht spukhaft erhellt – eine kühle Geistigkeit ausstrahlen, die ihr Pendant in Klängen findet, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Nur das Audio-Kabel, welches den Computer mit der Beschallungsanlage verbindet, lenkt, wie eine letzte Nabelschnur, noch vom Eindruck einer spiritistischen Seance ab und ruft stattdessen das Bild des Wissenschaftlers auf, der im Labor gewonnene Ergebnisse vorstellt.
Unterdessen fragt sich, inwieweit diese Wahrnehmung noch mit der Praxis übereinstimmt. Ist in der elektronischen Musik nicht neuerdings eine massive Hinwendung zu neuen/alten Formen des Körperlich-Performativen zu beobachten?
Der vorliegende Band geht nun der Frage nach, ob zwischen den beiden so umrissenen Problemfeldern – der Unterrepräsentation von Frauen und dem Körperkomplex – ein innerer Zusammenhang besteht: Stellt die Ablösung von Formen des Körperlichen – den biologischen Körpern der KünstlerInnen, dem Resonanzkörper akustischer Instrumente und des Konzertraums – in Elektroakustik und Elektronik im wesentlichen eine Neuauflage der die ganze abendländische Kunstgeschichte durchziehenden Männerphantasie absoluten Schöpfertums dar? Und wirkt dadurch als impliziter Ausschlußmechanismus für Produzentinnen oder KünstlerInnen abseits heteronormativer Standards? Oder ermöglicht umgekehrt gerade die Entmachtung der Körperlichkeit neue, postidentitäre Projekte jenseits der »dominanten binären Codierungen (männlich/ weiblich, schwarz/weiß, Natur/Kultur, Organismus/Maschine) « (Tom Holert)?
Letzteres war zumindest die Verheißung des subjektkritischen Diskurses, der sich in den 1990 er Jahren im Zuge des Technoaufbruchs etablierte. Insbesondere dem in der weißen westlichen Popmusik bis dato kaum bekannten musikalischen Format des Tracks attestierte man – im Gegensatz zur geschlossenen Form des Songs – die Eigenschaft, Elemente wie Autorschaft, rockistisches Authentizitätsdenken oder das Zurschaustellen bestimmter Haltungen zu überwinden. Im so entstehenden Freiraum würden Verschiebungen innerhalb des sozialen Gefüges identitärer Zuordnungen möglich, die, wie Thomas Meinecke und Jochen Bonz in ihrem Gespräch konstatieren, »auch das Projekt Feminismus, oder die Klärung der Gender Relations vorangebracht« haben. Ein Befund, den sowohl die Journalistin Pinky Rose in ihrem Beitrag »Reset: Weiblich?« als auch Birgit Richard im Resümee ihrer 15 jährigen Beobachtung von Techno als Mainstreambewegung im Prinzip teilen. Beide zeigen allerdings auch, daß sich die anfängliche Aufbruchstimmung über die Jahre nicht zu einer dauerhaften Neujustierung der Geschlechterverhältnisse konsolidieren konnte.
Vielmehr drängt sich die These auf, »daß alle Bemühungen, Individualität und Identität der MusikerInnen und Produzent- Innen im Eigenleben der Tracks, in den subkulturellen Szenen und im Dickicht aus Pseudonymen zu verlieren, die Identifikationsmaschine weniger abgeschafft als aktualisiert haben« – so Tom Holert in seinem Beitrag »Star-Schnittstelle«, der anhand der »Glamour-Funktion« verdeutlicht, wie sehr der Körper auch in der elektronischen Musik eine diskursive und soziale Konstruktion bleibt, in der ältere Geschlechtsidentitätskonzepte nachwirken.
Entsprechend wird die derzeitige Hinwendung zu performativen Aufführungsformen und neuen Spielarten des Songs in der elektronischen Musik von den AutorInnen auch weitgehend kritisch eingestuft: als Rekonstruktion bekannter »Rockismen« samt dem ihnen immanenten Sexismus. Als Reaktion auf die vorangegangene Entkörperlichung gelinge es diesen Versuchen kaum, neue Koordinaten in den Diskurs einzuführen.
Ernüchternd auch Richards’ Beschreibung der Ausschlußmechanismen innerhalb der Clubkultur, die Frauen nach wie vor von Schlüsselpositionen fernhalten. Macht Richards dies am auch hier bestehenden Primat der ökonomischen Verwertbarkeit der Körper fest, so sucht Terre Thaemlitz den Grund in tieferen gesellschaftlichen Konstellationen. Am Beispiel der Strategien, die japanische Musiker und Musikerinnen in der Auseinandersetzung mit Identitätsfragen anwenden, entwikkelt er die These, daß erst aus größeren kulturellen Transformationen, darunter vor allem »generellen Veränderungen der Beziehungen zwischen Geschlechtern und Technologien«, überhaupt die »umfangreiche Notwendigkeit« zu einer Steigerung des Anteils von Produzentinnen elektronischer Musik entstehen könnte. Der Schlüssel zur Entwicklung und Verbreitung kultureller Praktiken, auch für die musikalische Praxis von Frauen oder Transgender-Produzenten im Bereich der elektronischen Musik, ist nach Thaemlitz die Frage: »Welche kulturellen Kontexte zwingen eine Person, eine neue Sprache oder ein neues Medium kennenzulernen und zu entwickeln, wenn man bereits in einer bestimmten Sprache – oder in einem bestimmten Medium – gelernt hat, sich auszudrücken?«
Nicht alle Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich unmittelbar mit Fragen der Gender Relations: Kurt »Pyrolator« Dahlke, ausgewiesener Elektronik- und Computermusikspezialist, erkundet seit Jahren die konkreten Möglichkeiten, den Körper im Raum zur Tonerzeugung einzusetzen, um Pfade zu beschreiten, auf denen »Menschen ihre Wahrnehmungen mit den Apparaten teilen« (Vilém Flusser). Bei allen technischen Problemen, auf die man dabei – wie bei jedem traditionellen Instrument auch – stößt, lautet sein Plädoyer: Just do it – die Möglichkeiten sind da.
Auch Harald Fricke widmet sich dem Körper-Raum-Gefüge: Anhand der Werkentwicklung von Karlheinz Stockhausen stellt er dar, wie elektronische Musik, einst angetreten, um die maximale Kontrolle technologischer Klangsynthese abseits »natürlicher« Gegebenheiten wie Material, Raum oder Resonanz zu auszuüben (wofür man die HörerInnen tendenziell gar nicht mehr brauchte), der »Allmachtsphantasie im Angesicht der Geräte« schließlich dadurch entkommt, daß sie sich auf die physische Beschaffenheit der Aufführungsräume sowie der Körper der HörerInnen besinnt. In diesem Sinne sieht Fricke in Stockhausens Arbeiten eine Tendenz, Werk- und Rezeptionsästhetik zu vereinen.
Ins Jenseits aller Werkästhetik begibt sich Diedrich Diederichsen , wenn er unter dem Titel »Unheimlich, Pulse, Subjektlosigkeit, Befreiung« der Frage nachgeht, warum das Mechanische der Maschine in der elektronischen Musik so unheimlich wirkt. Anders als gemeinhin üblich führt er dies nicht etwa auf die materiale Exaktheit der klanglichen Strukturen (Töne, Beats) zurück, sondern – von der Rezeptionsseite ausgehend – auf deren besonderes Verhältnis zu Intentionalität und Impulsivität: Wann immer die assoziative Verbindung zwischen einem gehörten Klangereignis und seiner (physischen) Hervorbringung beim Hören abreißt, entsteht, so Diederichsens These, jenes Gefühl einer leeren, verwaisten Subjektivität, deren popgeschichtliche Schlüsselstellung der Beitrag entfaltet.
Einen anderen Aspekt der Entkoppelung traditioneller Körper-/ Pop-Assoziationen schildert Olaf Karnik , dessen Beitrag »Cunningham & Co.« die Körperinszenierungen in Videoclips zu populärer elektronischer Musik der 1990 er Revue passieren läßt. Im Zentrum steht eine Riege von RegisseurInnen, deren Arbeiten visuelle Standards und gesellschaftliche Klischees konsequent unterlaufen. Auch hier geht es um die – teils durchaus gewaltsame – Auflösung von Dualismen und das Durchkreuzen der »Übereinkünfte medial vemittelter Identitätskonstruktionen«.
Gewalt ist auch das Leitmotiv, wenn es um die Verlängerung elektronischer Soundforschung in die reale Lebenswelt diesseits von Club und Ohrensessel geht: Olaf Arndt , Mitglied der Medienkunst-Gruppe BBM, stellt militärische Einsatzmöglichkeiten von Schall- und Elektronikwaffen gegen menschliche Körper vor und entwirft dabei ein ambivalentes Szenario aus Technikfaszination und dem Horror einer sich perfektionierenden Kontrollgesellschaft.
Nicht weit davon entfernt bewegt sich die »Psychogeographin « Claudia Basrawi , wenn sie, von Owald Wieners vieldiskutiertem Konzept des »Bio-Adapters« ausgehend, die Sehnsucht nach einem Raum reiner, die Auflösung des Subjekts in Kauf nehmender Empfindung in aktuellen kulturellen Praktiken, auch im eigenen Alltag, identifiziert und reflektiert.
Gerahmt werden die Beiträge durch persönliche Statements 15 aktiver Künstler: Caroline Hervé alias Miss Kittin eröffnet den Band mit einer pointierten Selbstreflexion weiblicher DJ- und ProduzentInnen-Images, die wir bewußt im englischen Original belassen haben – und endet mit der Gretchenfrage aller Körper/ Elektronik/Pop-Theorie: »When was the last time you sweat on a dancefloor?«
Das könnte auch der Tenor von Marc Weisers Trittattacke sein, die gegen die Schienbeine von Bildungsbürgern wie von Partyjüngern gleichermaßen zielt und auch den Autor selbst nicht ohne blaue Flecken davonkommen läßt.
Die polnisch-deutsche Künstlerin Mariola Brillowska zeichnet die Zukunftsversion eines in Überalterung verstummenden Deutschlands, wo im Radio nur noch Herzschrittmachersounds zu hören sind. Angesichts dieser Lage revolutioniert eine feministische Sekte polnischer Frauen sämtliche gesellschaftlichen Konstellationen, wobei dem Einsatz von »Elektropolka «, einer im Kinderwagen abgespielten Mischung aus deutscher Elektronik und polnischer »Chopin-Folklore«, eine wichtige Rolle zukommt.
Jan Rohlfs Computerzeichnungen, die sich als Serie durch den Band ziehen, zeigen elektronische Musikgeräte weder als Werkzeuge ihrer Benutzer noch als hybride Cyborg-Formen. Stattdessen transformieren Mensch und Maschine sich hier gegenseitig in Prozessen der Mimesis, Adaption und Spiegelung – vermittelt durch die musikalischen Datenströme, die als nie aushärtendes Material aus Körpern wie Geräten gleichermaßen fließen.
Im Rahmen unseres Gendertronics-Projektes sind weitere Beiträge von Andreas L. Hofbauer, Susanna Niedermayr, Nils Röller, Nic Weiser, u. a. auf der Webseite des club transmediale (www.clubtransmediale.de) veröffentlicht.
Abschließend möchten wir allen AutorInnen für ihre Geduld und Mühe danken, ferner Johannes Ullmaier und dem gesamten Team des club transmediale, Gereon Asmuth, Lillevan und Hendrik Rohlf, ebenso wie allen TeilnehmerInnen, PartnerInnen und FinanzgeberInnen, ohne die dieses Buch und das Festival nicht zu realisieren gewesen wäre.
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